«BEWEGUNG IST DAS GEGENTEIL VON ERSTARRUNG»
Rudolf Kelterborn, ein musicus universalis, wird siebzig Jahre alt(1)
von ANTON HAEFELI

Die Sentenz aus Blaise Pascals Pensées «Unsere Natur ist in der Bewegung, 
völlige Ruhe ist der Tod» charakterisiert das Leben, Denken und Arbeiten Rudolf 
Kelterborns wortwörtlich wie metaphorisch in mehrfacher Hinsicht. Zunächst 
wandert er ausserordentlich gerne, ja Wandern ist ihm neben der Beschäftigung 
mit Literatur und Bildender Kunst die liebste Freizeitbeschäftigung. Stets hat 
er sich dafür zwei, drei Wochen im Jahr freigehalten; die Gipfel der Schweizer 
Alpen, die er vor Jahrzehnten noch als Bergsteiger bezwungen hat, bewundert er 
mittlerweile aus der sicheren Distanz seiner geliebten Jurahöhen. Im Gehen lässt 
es sich trefflich sinnieren, entwerfen, nachdenken, träumen, vergessen: «Ich 
laufe mir jeden Tag das tägliche Wohlbefinden an und entlaufe so jeder 
Krankheit; ich habe mir meine besten Gedanken angelaufen, und ich kenne keinen, 
der so schwer wäre, dass man ihn nicht beim Gehen loswürde», schrieb Sören 
Kierkegaard in einem Brief an Jette (1847). Die lateinische Formel bringt es gar 
in nur zwei Worten auf den Punkt: «Solvitur ambulando.»(2) Die körperliche 
Anstrengung fordert Kelterborn zudem heraus und lässt ihn sich selbst spüren; 
das Erlebnis der Natur ist ihm ferner eine Quelle elementarer Erfahrung und 
zugleich komplexer Inspiration. Sie zu schützen ist ihm deshalb ein wichtiges, 
wenn auch nicht dogmatisch verfolgtes Anliegen. (Und so sieht er im Kirschgarten 
seiner gleichnamigen Oper nach Anton Tschechow [1984] «ein Symbol für die durch 
menschliche Eingriffe bedrohte Umwelt; seine Erhaltung ist unter 
Zukunftsperspektiven unabdingbar».(3) Die Bedeutung des Kirschgartens wird indes 
«nicht mit Argumenten, sondern mit rein musikalischen Mitteln dargestellt: Eine 
<Kirschgarten-Musik> durchzieht in wechselnder Präsenz und Gewichtung fast die 
ganze Oper.»(4))
	Dass körperliche Bewegung zu geistiger Beweglichkeit führt, mag für 
nomadisierende Völker im Gegensatz zu sesshaften stimmen, nicht aber generell 
für heutige Menschen. Kelterborn allerdings war auch beruflich, intellektuell, 
schöpferisch und menschlich immer unterwegs, in Bewegung; er ging und geht 
neugierig und offenen Auges durch die Welt, interessiert sich für viele Dinge, 
schaut sie von verschiedenen Seiten an und nimmt leidenschaftlich und engagiert 
Anteil an der Welt. Die Verwurzelung im Diesseits teilt er wiederum mit 
nomadisierenden Frauen und Männern, denn nur sesshafte Völker projizieren die 
Reisen, die sie in der hiesigen Welt nicht gemacht haben, auf eine Welt nach dem 
Tode! Und wie jene war Kelterborn meines Wissens nie Besitzer eines festen 
Wohnsitzes, sondern zog mit seiner Familie als flexibler Mieter von Wirkungsort 
zu Wirkungsort. Oder wie es das indische Sprichwort sagt: «Das Leben ist eine 
Brücke. Gehe über sie hinweg, aber baue kein Haus darauf.»
	«Bewegung» ist für Kelterborn überdies ein wichtiges Stichwort für sein 
kompositorisches Schaffen: «Bei meiner Arbeit ist für mich nicht in erster Linie 
wichtig, ob ich etwas grundlegend Neuartiges schaffe. Wichtig ist mir dagegen, 
dass mein Werk bei Zuschauern und Zuhörern etwas in Bewegung setzt. Mit 
<Bewegung> meine ich nicht eine nebulose Gefühlsduselei, sondern das Gegenteil 
von Erstarrung. Auch etwas, das nichts mit der Tagesaktualität zu tun hat, kann 
aktuell sein, indem es zum Nachdenken anregt, anrührt, beeindruckt, fasziniert, 
erregt.»(5)
«Varietas delectat»: Stationen eines <bewegten> Lebens
Bevor wir uns dem reichen Lebensweg unseres Jubilars zuwenden, mögen vielleicht 
einige Worte zur Herkunft seiner VorfahrInnen angebracht sein: «Die Kelterborns 
sind ums Jahr 1832 aus dem Hannoveranischen nach Basel gekommen, wo der 
Urgrossvater Ludwig Adam (1811-1878) als Kunstmaler und Zeichnungslehrer wirkte 
und unter anderem noch den Maler Böcklin unterrichtete. Sein Sohn Julius Otto 
(1857-1915) und sein Enkel Ernst, geboren 1892, der Vater unseres Komponisten, 
waren Architekten in Basel. Von Mutterseite her stammte der Urgrossvater Johann 
Jakob Fidler (1821-1913) aus Ihringen im Badischen, wo er als Weinbauer und -
händler sein Leben verdiente, seinen Sohn Ludwig Jakob (1867-1942) treffen wir 
in Basel als Bäckermeister, die Mutter des Komponisten, Anna Elisabeth, kam im 
Jahr 1903 in Basel zu Welt.»(6) Musik spielte in der Familie des Vaters eine 
nicht unwichtige Rolle: Es wurde viel musiziert, dessen Schwester Gertrud Lang-
Kelterborn wurde Klavierlehrerin, und der Grosscousin Louis Kelterborn (1891-
1933) war als Organist, Dirigent und Komponist in Neuchâtel tätig.
	Rudolf Kelterborn wurde am 3. September 1931 in Basel geboren. Sein 
Entschluss, die Musikerlaufbahn einzuschlagen, stand früh fest, und er erhielt 
deshalb bereits während der Schulzeit in seiner Heimatstadt Klavier-, Dirigier- 
und Theorieunterricht und machte erste kompositorische Versuche. 1950 erwarb er 
die Matura im Humanistischen Gymnasium am Münsterplatz, besuchte in Salzburg 
einen Dirigierkurs bei Igor Markevitch und studierte anschliessend im 
Konservatorium (heute Musikhochschule) der Musik-Akademie der Stadt Basel 
Komposition bei Walther Geiser, Musiktheorie bei Gustav Güldenstein und Walter 
Müller von Kulm, Klavier bei Eduard Henneberger und Dirigieren bei Alexander 
Krannhals. Auf der Universität Basel hörte er unter anderem 
musikwissenschaftliche Vorlesungen bei Jacques Handschin. 1952 schloss er mit 
dem Lehrdiplom für Musiktheorie und dem Kapellmeisterdiplom ab; darauf folgten 
weitere Studien bei den Komponisten Willy Burkhard in Zürich, Boris Blacher 
anlässlich eines Meisterkurses in Salzburg und, dank eines Stipendiums des 
Schweizerischen Tonkünstlervereins (STV), 1955 bei Wolfgang Fortner und Günter 
Bialas in Detmold. 1956 und 1960 nahm er zudem an den Ferienkursen für Neue 
Musik in Darmstadt teil.
	1957 verheiratete er sich mit der Basler Geigerin Erika Salathé, die er 
während seiner Studienzeit kennengelernt hatte; ihrer Ehe entsprossen eine 
Tochter und ein Sohn. Die tiefe Beziehung zu dieser starken Frau ist wohl das 
Fundament, der basso ostinato in der variantenreichen Passacaglia seines Lebens!
	Seine langjährige Unterrichtstätigkeit begann Kelterborn in der Musik-
Akademie Basel als Theorielehrer (1955-1960). 1960-1968 unterrichtete er 
Musiktheorie, Analyse und Komposition auf der Nordwestdeutschen Musikakademie 
Detmold (1963 Ernennung zum Professor), 1968-1975 und 1980-1983 im 
Konservatorium Zürich, wo er 1971-1975 auch dessen Hochschulabteilung vorstand, 
und 1980-1983, wiederum als Professor, in der Staatlichen Hochschule für Musik 
Karlsruhe. 1969-1975 war er auch Chefredaktor der Schweizerischen Musikzeitung, 
und 1974-1980 leitete er die Abteilung Musik des Radios der Deutschen und 
Rätoromanischen Schweiz. 1983-1994 stand Kelterborn der Musik-Akademie Basel als 
Direktor vor; zudem unterrichtete er in deren Musikhochschuldepartement 1983-
1996 Komposition und musiktheoretische Fächer.  Seit den fünfziger Jahren war er 
weiter als Dirigent tätig, zuerst von Amateurchören und -orchestern, später bei 
renommierten Orchestern als Gastdirigent vor allem eigener Werke in 
aspektenreich konzipierten Konzerten. In seiner Zürcher Zeit arbeitete er in der 
Programmkommission der Zürcher Tonhalle-Gesellschaft mit, und zusammen mit Heinz 
Holliger und Jürg Wyttenbach hatte er endlich ab 1986 viele Jahre lang die 
künstlerische Leitung des unkonventionellen Basler Musik Forums inne.
	Kelterborn veröffentlichte wichtige analytische Bücher (Zum Beispiel 
Mozart, Basel 1981; Analyse und Interpretation, Winterthur 1993) und Aufsätze zu 
musiktheoretischen, kompositorischen und kulturpolitischen Fragen (teilweise 
nachgedruckt in Musik im Brennpunkt, Basel 1988). Er hielt Gastseminare und -
vorlesungen in der Schweiz und der VR China, in den USA, in Deutschland, England 
und Japan; ausserdem wirkte er regelmässig als Juror bei internationalen 
Kompositionswettbewerben mit. Immer hat er sich auch kulturpolitisch engagiert, 
zum Beispiel im Stiftungsrat der Pro Helvetia oder im Vorstand des STV, dessen 
Ehrenmitglied er seit 1979 ist. 1997 wurde er zum ordentlichen Mitglied der 
Freien Akademie der Künste in Mannheim ernannt. Für sein kompositorisches 
Schaffen erhielt er zahlreiche Preise und Ehrungen, unter anderem 1961 den 
Kompositionspreis der Stadt Stuttgart, 1962 den Bernhard-Sprengel-Preis 
(Hannover), 1970 den Conrad-Ferdinand-Meyer-Preis (Zürich) sowie 1984 den 
Komponistenpreis des STV und den Kunstpreis der Stadt Basel, wo er heute mit 
seiner Gattin schon seit erstaunlich vielen Jahren lebt.
Ein «musicus»
Die mittelalterlichen Musiktheoretiker waren sich einig, dass die damalige 
monastische Gesangspraxis auf eine rationale Grundlage gestellt werden müsse. 
Aurelianus Reomensis etwa parallelisierte in seinem um 850 geschriebenen Traktat 
Musica Disciplina den Unterschied zwischen «cantor» und «musicus» mit dem 
zwischen «corporale artificium» (körperlicher Arbeit) und «ratio» oder dem 
zwischen Schüler und Lehrer.(7) Ungefähr 150 Jahre später postulierte Guido von 
Arezzo, dass nur der «musicus» genannt werden dürfe, welcher das theoretische 
Fundament seines Handwerks kenne. Ein «cantor» hingegen singe oder spiele Musik, 
ohne zu wissen, was er tue, und bewege sich deshalb auf der Stufe eines Tiers... 
Es ging bei Aurelianus und Guido indes nicht mehr wie bei Bo‘thius um die 
strikte Trennung zwischen der mit hohem Sozialprestige versehenen 
Musikphilosophie/-theorie und der gering angesehenen Musikausübung, sondern um 
den Unterschied zwischen einer theoretisch untermauerten und einer 
gewohnheitsmässigen Musikpraxis und, eben, um das Plädoyer für die erstere, die 
rationale Durchdringung der Praxis.
	In diesem Sinne darf Rudolf Kelterborn ein wahrer «musicus» genannt 
werden, denn die «musica» - der Lebenslauf verrät es trotz der dürren Aufzählung 
- verkörperte sich in ihm stets als ungeteilte Disziplin, und stets verband er 
in seinen vielen Aktivitäten Theorie und Praxis miteinander, aber auch «ratio» 
und «[e]motio», «Analyse und Interpretation», Musik und andere Künste, 
Komponieren und Ausführen, Instrumental- und Vokalmusik, Lehren und 
Organisieren, Forschen und Umsetzen, Schreiben und Redigieren, Programmieren und 
Verwalten, berufliches und politisches Engagement. Selbstverständlich 
reflektierte er auch über die Interdependenzen zwischen den partikulären 
Positionen, Inhalten und Tätigkeiten(8), suchte den Dialog mit den vorwiegend 
reproduzierenden Musikerinnen und Musikern, arbeitete als Dirigent mit 
musikalischen Laien wie mit Profis, unterrichtete Pflicht- wie Hauptfächer und 
war als Direktor der Musik-Akademie Basel an allen ihm unterstellten Zweigen - 
Grundkursausbildung und -durchführung, Musikschule, Musikhochschule und Schola 
Cantorum Basiliensis; also Musikbildung für Laien aller Altersstufen und 
Berufsausbildung in alter und neuer Musik und ihren Instrumenten - und den darin 
vertretenen Menschen (Schülerinnen und Schülern, Studentinnen und Studenten, 
Lehrerinnen und Lehrern, Verwaltungspersonal) gleichermassen interessiert, bei 
deren Veranstaltungen präsent und für sie da. Und was er auch machte, er machte 
es tatkräftig, überzeugt, genau, zuverlässig, integer und zeigte in allem «die 
Verlässlichkeit eines stetig geführten Lebens»(9).
Facette 1: Der Musikdenker
Beleuchten wir indes die eine oder andere seiner Tätigkeiten etwas genauer, 
zunächst seine wichtige musiktheoretische und dann, Hand in Hand, 
musikpädagogische. Kelterborn darf durchaus in eine Reihe von Hector Berlioz 
über Arnold Schönberg bis Pierre Boulez, also von Komponisten als wichtigen 
Musikdenkern, Analytikern und Lehrern, gestellt werden. Von Schönberg und Erwin 
Ratz geprägt, war er einer der ersten in der Schweiz, der die unselige 
Parzellierung der Musiktheorie in ihre Teilgebiete wie Harmonie-, Formenlehre 
und Kontrapunkt sowie die ebenso verhängnisvolle Loslösung von Musikwerken aus 
ihrem historischen und individuellen Kontext überwand und mithalf, quantitative 
Formenlehre in qualitative, <ganzheitliche> Analyse, die erst zu wirklicher 
Erkenntnis von Musik führt, umzugestalten und durch Lehre umzusetzen. Dabei 
bedeutet musikalische Analyse für ihn «zunächst, das vom Komponisten rein 
musikalisch Gedachte auf einer anderen, sprachlich-gedanklichen 
Bewusstseinsebene so weit wie möglich nachzuvollziehen (und gegebenenfalls 
weiterzuvermitteln). Die Verbalisierung von Einsichten in musikalische Bezüge, 
Entwicklungen, Proportionen, Abläufe usw. bildet die Voraussetzung für das 
rationale Verständnis der kompositorischen Prozesse und Zusammenhänge. Für den 
Komponisten ist diese Verbalisierung bei seiner Arbeit natürlich nicht opportun. 
Er denkt <nur> musikalisch - aber er denkt: Seine kompositorischen 
Dispositionen, die von ihm geschaffenen Bezüge [...] werden ihm nicht durch 
mysteriöse, übermenschliche Kräfte in die Feder diktiert, sondern sie 
entspringen seinem musikalischen Denken, seiner musikalischen Erfindung. Der 
Komponist schafft sein Werk bis ins Detail hinein bewusst - nur ist dieses 
Bewusstsein auf einer anderen als der sprachlich-gedanklichen Ebene 
angesiedelt.»(10) Kelterborns analytisches und kompositorisches Verständnis 
stehen also in Wechselbeziehung zueinander und basieren auf einem 
aufklärerischen Denken in Musik.
	Seine originären Beiträge zu einer umfassenden Kunst der musikalischen 
Analyse erwuchsen aus informations- und kommunikationstheoretischen 
Erkenntnissen und aus der Erfahrung mit neuer Musik. Wenn Kelterborn catoesk 
hartnäckig in Wort und Schrift betonte, dass «musikalische Analyse niemals nur 
lesend begriffen werden kann, [sondern] von der stetigen, wiederholten 
Hörerfahrung getragen werden» muss(11), dann wies er damit auf den früher viel 
zu wenig beachteten Unterschied zwischen Musik als Struktur und als Form hin. 
Pointiert ausgedrückt, hat ein Musikwerk Struktur als Ergebnis kompositorischer 
Prozesse, und es ist Form als musikalisches Resultat, wie es Hörende wahrnehmen. 
Die Beschreibung der Struktur (die Art, wie eine Komposition <gemacht>, gebaut, 
notiert ist) muss deshalb von der Beschreibung der Form (die Art, wie sie von 
wem gehört wird) getrennt werden, auch wenn das Werk natürlich nicht in diese 
lediglich für die Analyse beschriebenen Pole auseinanderfällt, sondern seine 
Individualität und Qualität gerade aus der dialektischen Spannung zwischen 
komponierter Struktur und rezipierter Form bezieht.
	Für das analytische Vorgehen empfiehlt Kelterborn deshalb mit allem 
Nachdruck ein deduktives Prinzip (wir werden sehen, dass es auch sein 
Komponieren bestimmt!): «Jede musikalische Analyse [...] muss unbedingt vom 
(mehrmaligen) Anhören des Stückes (Satzes) ausgehen, und selbstverständlich sind 
alle weiteren analytischen Schritte - der Weg führt von der übergeordneten 
Architektur zur inneren Struktur - hörend nachzuvollziehen und zu 
überprüfen.»(12) Um die «übergeordnete Architektur» wahrnehmen zu können, 
erstellte er einen Katalog von «formbildenden Faktoren», den er aus der 
Erfahrung mit neuer Musik um solche wie Bewegungs- und Satzdichte, Tonraum, 
Gestik und Klangfarbe beträchtlich erweiterte, wobei solche Faktoren umgekehrt 
dann auch wiederum in älterer Musik zu entdecken waren. In exemplarischen 
Arbeiten hat er nachgewiesen, wie grosse Komponisten Konvention und Innovation 
miteinander verknüpfen - wie zum Beispiel Joseph Haydn oder Wolfgang Amadé 
Mozart, die ihm übrigens näherstehen als Ludwig van Beethoven, das von ihnen 
mitbegründete Sonatenprinzip einerseits einhalten, die geschlossen wirkende 
etablierte Form andererseits aber durch offenere, unkonventionelle Formtypen 
überlagern und so formale Mehrschichtigkeit - für Kelterborn ein wesentliches 
Kriterium für kompositorische Qualität - erreichen.
Facette 2: Der Musikpädagoge
Kelterborns Ansatz, Struktur und Form voneinander zu trennen und die 
«übergeordnete Form» als die hörbare zu umschreiben, kommt nicht zuletzt auch 
interessierten Laien und zudem all jenen entgegen, die neue Musik noch nicht gut 
kennen. So nützt nicht einmal geschulten Hörenden die Einsicht über die 
Sonatensatzanlage und die Doppelkanonkünste im ersten Satz von Anton Weberns 
Symphonie op. 21 sehr viel, weil das im Hörerlebnis schwer nachzuvollziehen ist. 
Dagegen ermuntert in einem durchaus als emanzipatorisch zu verstehenden Akt 
Kelterborn die Hörwilligen zu Unbefangenheit, zu einem zuerst gleichsam 
«statistischen Wahrnehmen»: In einer unbekannten Musik soll möglichst alles 
auditiv Hervorstechende, sollen alle formbildenden Faktoren in mehreren 
«Hörschritten» aufgenommen und in einem Hörprotokoll festgehalten werden. Das 
ist auch denen möglich, die eine Strukturanalyse nicht leisten könnten, und 
zugleich führt nur dieses Vorgehen zum richtigen Erkennen einer «übergeordneten 
Form», die - um bei Webern zu bleiben - unkonventionell ist und keinesfalls dem 
Sonatenprinzip folgt!
	Es war ein Glücksfall für mich, seinerzeit als Student Kelterborns 
(Hauptfach Musiktheorie) in Zürich 1968-1972 mit seinem modernen Analyseansatz 
sozusagen in statu nascendi konfrontiert zu werden. Was er später in Aufsätzen 
und Büchern einer grösseren Öffentlichkeit zugänglich machte, durften wir damals 
in der Schweiz wohl als erste erfahren und vielleicht gar mit dem einen oder 
andern Mosaiksteinchen eigener Erkenntnis bereichern, denn er wünschte aktive 
Mitwirkung am Unterrichtsgeschehen, ja provozierte sie manchmal drastisch. Die 
theoretische Erörterung beschränkte sich aufs Notwendige, vor allem auf den 
Kontext einer zu untersuchenden Komposition; der Hauptakzent lag auf dieser. Was 
oben als Kelterborns Forderungen beschrieben wurde (hören, nicht nur lesen; 
Hörform und Struktur unterscheiden; alle Parameter eines Werks einbeziehen; 
ganzheitliche Vorgehensweise), war schon Grundlage seines Unterrichts: für 
einmal ein Wegweiser, um Max Schelers Aussage ins Gegenteil zu verkehren, der 
nicht nur die Richtung zeigt, sondern ihr auch folgt! Kelterborn, der als 
Komponist sein Metier souverän beherrscht, lehrte uns Analyse denn auch als 
lernbares Handwerk. Dabei erfüllte er Grundanforderungen moderner Pädagogik, 
ohne sie, damals noch wenig bekannt, vielleicht explizit zu kennen, und 
ermöglichte prozesshaftes, handlungsorientiertes, exemplarisches, vernetztes und 
zur Selbstkompetenz führendes Lernen.
	Nicht alle meine Mitstudierenden (im Pflichtfachbereich) haben das so 
gesehen und erlebt, und es darf in einem ehrlichen Porträt nicht verschwiegen 
werden, dass Kelterborn am Anfang seiner Lehrtätigkeit bei Klassen und Gruppen 
manchmal das vermissen liess, was ich musikpädagogischen Eros nenne. Wer nur am 
instrumentalen Hauptfach interessiert und/oder geistig unbeweglich war und 
seinen (= Aureliani und Guidos!) Ansprüchen nicht genügte, machte schnell die 
Grenzen seiner nicht übermässig vorhandenen Geduld deutlich. Erschwerend kam 
dazu, dass die bedächtigen Nord- und Nordostschweizerinnen und -schweizer 
voreilig als persönliche Blossstellung empfanden, was eigentlich nur 
überpersonaler quicklebendiger Basler Witz war. Im Hauptfachunterricht 
(Harmonielehre, Kontrapunkt, Analyse), mit ihm allein, erlebte ich ihn hingegen 
nie anders denn als einfühlsamen, begeisterungsfähigen, von meinen Versuchen und 
Lösungen ausgehenden, undogmatisch-offenen Mentor. Zu diesem günstigen Lernklima 
kam seine für damalige Begriffe geradezu revolutionäre Erweiterung der 
Musiktheorielehrerausbildung um eine eigentliche Fachdidaktik- und 
Fachmethodikveranstaltung, um Lehrproben, Hospitia und begleitete 
Stellvertretungen.
	Auch vom ungleich diffizileren Kompositionsunterricht (in die Werkstatt 
Kelterborns gingen etwa Peter Wettstein, Bettina Skrzypczak, Christoph 
Neidhöfer, Lukas Langlotz und Andrea Scartazzini) gilt Ähnliches: 
verständnisvolle und behutsame Begleitung und Entwicklung der individuellen 
Musiksprache anstatt Subordination unter die ästhetischen Maximen des Lehrers, 
mehr Dialog als Unterricht oder: im Lehren lernen und im Lernen lehren! 
Kelterborn kam nicht zuletzt durch die eigenen positiven Erfahrungen als 
Lernender zu dieser Haltung: «Ganz wichtig waren für mich meine Lehrerinnen und 
Lehrer - nicht nur im Fach Musik oder in der beruflichen Ausbildung (meine 
Lehrer für Deutsch und Mathematik am Gymnasium haben mir zum Beispiel unendlich 
viel auf meinen Lebensweg mitgegeben). Ihnen allen verdanke ich sehr viel. Bei 
den Kompositionslehrern war es eigentlich immer so, dass ich selber nie so 
komponieren wollte wie der jeweilige Lehrer - und der jeweilige Lehrer hatte 
seinerseits nie den Wunsch, dass ich so komponieren sollte wie er selber; diese 
Erfahrung hat meine eigene Tätigkeit als Kompositionslehrer massgeblich 
mitbestimmt. Und in diesem Sinne haben mir auch meine Kompositionsstudierenden 
sehr viel gegeben.»(13)
Facette 3: Der Musikvermittler
Ebenso didaktisch-pädagogische, ja <volksbildnerische> Aspekte hatte die Arbeit 
Kelterborns als Musikvermittler und Programmgestalter in Vorträgen, Rundfunk und 
Konzerten. Über seine erste Sendung für Radio DRS II 1972 schrieb Urs 
Frauchiger: «Da kam einer unserer bedeutenden Komponisten und konnte Deutsch, 
war imstande, einerseits komplexe Sachverhalte präzis und allgemein verständlich 
zu formulieren und andererseits Stimmungen, Gefühle, Hintergründiges zu 
evozieren, ohne in Sentimentalität zu verfallen. Noch mehr staunten wir aber, 
mit welcher unauffälligen, aber fast taschenspielerartigen Geschicklichkeit er 
die radiophonen Mittel einzusetzen wusste, wie er es zustande brachte, seine 
Werke in den historischen Kontext zu stellen und dadurch gleichzeitig dem Hörer, 
ohne dass dieser es merkte, das nötige Wissen beizubringen.»(14) Für seine 
Sendereihe «Musik bewusst hören - Musik verstehen» im gleichen Jahr bekam 
Kelterborn bereits den Zürcher Radiopreis, und ein Jahr später war er 
Hauptabteilungsleiter Musik bei Radio DRS! Jetzt konnte er «seine unversiegbare 
musikalische Neugierde, sein Talent zur Übersicht und damit zum Vergleichen, 
Vernetzen, Assoziieren und Kontrastieren pflegen und zur Meisterschaft 
entwickeln».(15) Er entwarf Programme mit vielen Gegenüberstellungen und offenen 
und versteckten Wechselbeziehungen, zum Beispiel am 24. Januar 1978 unter dem 
Titel «Alte und neue Vokalmusik» einen «Abend doppelter Konfrontation» mit 
originaler byzantischer Kirchenmusik und einer von dieser Musik beeinflussten 
Komposition des Griechen Dimitris Terzakis im ersten und mit Robert Schumanns 
Frauenliebe und -leben sowie einer Komposition des Schweizers Rainer Boesch im 
zweiten Teil. «Doppelte Konfrontation» ist dabei tief gestapelt, denn es kommen 
viele weitere dazu wie östlich vs. westlich, geistlich vs. weltlich, kollektiv 
entstandene Musik vs. von einem Autor verantwortete, solistische vs. chorische 
Besetzung, unbegleitete vs. begleitete Singstimme(n) und so fort.
	Das gleiche Prinzip wandte Kelterborn auch in Programmen an, die er für 
das Basler Musik Forum oder für Konzerte unter seiner Leitung entwarf. Eine 
wunderbar axialsymmetrisch <komponierte> Werkfolge für ersteres mit einem 
Haydnwerk als Mittelachse erschliesst sich unmittelbar aus Abb. 1. Für letzteres 
diene ein Programm, das er vor zehn Jahren in der Tonhalle Zürich realisierte, 
wo im ersten Teil auf seine Musica luminosa per orchestra Mozarts Linzer-
Sinfonie folgte und nach der Pause auf das Vorspiel zu Richard Wagners Lohengrin 
seine Gesänge der Liebe. Im Heft zur Veranstaltung erläuterte er die 
zugrundeliegenden Ideen: «Jede der beiden Programmhälften wird durch eine kurze 
<Lichtmusik> eröffnet. Mit meiner Musica luminosa und Mozarts Sinfonie C-Dur KV 
425 bringt der erste Teil Werke, für die es keine aussermusikalischen Programme gibt. 
Der zweite Teil hingegen enthält mit Wagners Vorspiel [...] und meinen 
Gesängen der Liebe Kompositionen, deren aussermusikalische Elemente durch 
Bezüge zur Oper bzw. zu den Texten aus dem Hohenlied Salomonis offensichtlich sind. 
Mozarts Sinfonie eröffnet bei allem C-Dur-Glanz immer wieder (mit Ausnahme des Menuetts) 
Tiefenperspektiven in dunkle und dramatische Regionen. In den Gesängen der Liebe verschmelzen 
Dunkles, Schattenhaftes und Lichtes, Helles oft zu einem <Chiaroscuro>.»(16)
«Struktur und Ausdruck»: der Komponist Kelterborn
Dass Kelterborn bei all seinen Aktivitäten überhaupt Zeit und Ruhe zum 
Komponieren fand, scheint fast unmöglich. Um so erstaunlicher also, dass seine 
in in der Biographie dokumentierte Universalität und Produktivität ihr Pendant 
in einem umfangreichen und breit gefächerten Schaffen findet, das bald 150 Werke 
aller musikalischen Gattungen umfasst. Beim IGNM-Fest 1956 in Stockholm erstmals 
international beachtet, gehört er zweifellos seit vielen Jahren zu den 
bedeutendsten und am meisten aufgeführten Schweizer Komponisten der Gegenwart. 
Seine Entwicklung verlief von den ersten bis zu den jüngsten Werken 
kontinuierlich. Er setzte sich mit Neoklassik, Zweiter Wiener Schule, serieller 
Musik und Aleatorik auseinander, empfing Anregungen von der Musik  Strawinskys, 
Béla Bartóks, Weberns, Alban Bergs, György Ligetis, Boulez' und anderer, 
bewahrte sich aber dennoch immer eine unabhängige Haltung und fand eine 
unverwechselbare Sprache, die ungezwungen aus verschiedenen Techniken und 
Materialien schöpft und zwischen Konstanz und Innovation pendelt.
	Sowohl bei fremden wie eigenen Werken plädiert er dafür, nicht als erstes 
zu fragen, was eine Komposition bedeute, sondern sie als klangliches Substrat, 
als sie selbst zu rezipieren und andere Aspekte aus musikimmanenten Kriterien 
abzuleiten. «Es ist mir [...] kaum verständlich, warum [...] hartnäckig danach 
gefragt wird, was denn eigentlich mit einem Musikstück gemeint sei. [...] Das 
Heranziehen aussermusikalischer Hintergründe erscheint mir oft wie eine Flucht 
vor den hohen Anforderungen, welche komplexe Musik [uns allen] stellt.»(17) Er 
spricht deshalb nicht gerne über seine Musik, und seine Erläuterungen zu eigenen 
Werken fallen wohltuend kurz und strikt auf die musikalische Faktur beschränkt 
aus; programmatisch-semantische Angaben wären ihm ein Greuel: Was uns ein 
Komponist sagen will, sagt er mit den Mitteln der Musiksprache; hätte er es mit 
denen der Wortsprache ausdrücken wollen, würde er nicht komponieren, sondern 
dichten! Zudem verbauen «Kommentare und Erklärungen zu eigener Musik beim 
Zuhörer oft mehr, als [sie] erhellen», und blockieren seine Phantasie und 
Vorstellungskraft; «viel wichtiger sind [indes] Unvorgenommenheit und Neugier 
beim Publikum» (1990).
	Aus dieser vordergründiger Hermeneutik abholden Haltung auf eine abstrakt-
sachliche Musik, auf nur «tönend bewegte Formen» zu schliessen wäre allerdings 
grundfalsch: «Ich verstehe Musik als Ausdruckskunst. [...] Bei [meiner] eigenen 
Arbeit steht das Bemühen um grösstmögliche Ausdruckskraft immer im Vordergrund, 
und dieses Bemühen ist noch bei den handwerklich-kompositorischen Vorgängen 
absolut bestimmend.»(18) Kompositorische Technik heisse überhaupt, «ein dichtes 
Netz von Bezügen zu schaffen, offensichtlichen und verborgenen»(19), und so 
vermitteln denn Kelterborns vielschichtige Kompositionen auf der Grundlage von 
glänzend beherrschtem Handwerk, reicher Phantasie und untrüglichem Sinn für 
Formen, Klangfarben und Gestisches zwischen Struktur und Ausdruck, Intellekt und 
Emotion, <absoluter> Musik und Drama. Weitere Konstanten in seiner Musik sind 
die stringenten, aber undogmatischen Materialordnungen, die schon angesprochene 
formale Mehrschichtigkeit und, neben dem grundsätzlich «antithetischen» 
Charakter(20), eine vielfach thematisierte Hell-Dunkel-Dualität. Diese zeigt 
sich zum Beispiel in der oben zitierten Beschreibung seiner Gesänge der Liebe 
oder besonders eindrücklich in einem Kelterbornschen chef d'œuvre, dem Ensemble-
Buch I für Bariton und Instrumente nach Gedichten von Erika Burkart (1990), wo 
er zwei Nacht- und gleich drei Lichtmusiken unverwechselbar zu gestalten vermag. 
Hier ist auch zu lernen, wie spannungsvoll Stille auskomponiert werden kann.
	Neben Kammer- (etwa Reaktionen, 1974; Consort-Music, 1976; fünf 
Streichquartette, 1954/1989) und Orchestermusik (zum Beispiel Changements, 1973; 
Musica luminosa, 1984; vier Symphonien, 1967/1986) ist die Vokalmusik für den 
literarisch kundigen Kelterborn ein weiterer wesentlicher Strang seines 
Komponierens, darunter Fünf Madrigale für grosses Orchester und zwei Solostimmen 
(Charles F. Ramuz, William Shakespeare, Louise Labé und andere, 1968), Gesänge 
zur Nacht für Sopran und Kammerorchester (Ingeborg Bachmann, 1978), Gesänge der 
Liebe für Bassbariton und Orchester (1988), sechs Opern, darunter Ein Engel 
kommt nach Babylon (nach Friedrich Dürrenmatt, 1976) und Der Kirschgarten 
(1981). Zur Gewichtung der Gattungen in seinem Schaffen sagte er: «Ich habe 
eigentlich nicht mehr Vokal- als Instrumentalmusik geschrieben, im Gegenteil. 
Für mich ist der Text oft der Kommentar zu meiner Musik, und es kam vor, dass 
ich eine Musik schon entwickelt hatte und dazu noch einen Text suchte. Ich finde 
die wechselnde Distanz oder Integration von Text und Musik gerade das 
Spannende.»(21) Endlich darf nicht unerwähnt bleiben, dass sein grosses 
Interesse für alte Musik sich in Werken für Renaissanceinstrumente niederschlug 
(etwa «Schlag an mit deiner Sichel», 1981): «Mich interessiert das vom 
Klanglichen her, und ich habe mich während meiner Zeit an der Musik-Akademie 
dafür eingesetzt, dass die Schola-Leute auch moderne Musik spielen.»(22)
	Die Mühelosigkeit, mit der Kelterborn für jede denk- und undenkbare 
Instrumentenkombination (in den letzten Jahren etwa die Vier Fantasiestücke für 
Violine und Marimbaphon, 1992, oder die Monodie III für Violoncello und Harfe, 
1996) zu schreiben und jeden Auftrag zu erfüllen scheint, und die Brillanz 
seines Handwerks forderten auch Kritik heraus, hier durchaus bedenkenswert zum 
Ensemble-Buch I: «Die Musik ist beherrscht im umfassenden Sinne, dem des 
Handwerks, über das Kelterborn souverän verfügt, und dem der Beherrschung der 
Geister. Es ist das Paradox einer Musik, die das Atmosphärische ordnet. 
Konstruktion ist bei Kelterborn wesentlich Konstruktion von Stimmungen, 
Gesten.»(23)
	Allerdings zeigen die Werke der letzten Jahre zunehmend rauhere, 
undomestiziertere Seiten, einerseits durch die «Behandlung des Instrumentariums 
im Sinne eines Ensemble-Buches» (1997), in dem auch Solo-, Duett- und Trio-
Partien vorkommen (etwa im Streichtrio, 1995/96, oder in den Fantasien, 
Inventionen und Gesängen für Klarinette, zwei Violinen, Viola und Violoncello, 
1996), andererseits durch das immer wichtiger werdende Ausloten von Geräuschen 
und von hoketusartiger Rhythmik. Beim ersten Hören scheinen diese Kompositionen 
geradezu zergliedert und additiv aneinandergereiht zu sein; die einzelnen Teile 
werden aber durch strukturelle Verfahren subkutan vielfältig miteinander 
vernetzt. Das Streichtrio, vielleicht eines der besten Werke Kelterborns, etwa 
besteht aus elf kurzen Sätzen, die indes eine zweiteilige zyklische Grossform 
bilden. Beide Teile (Teil I mit sechs, Teil II mit fünf Sätzen) beginnen mit 
einem «Hoketus», jener seit der ars nova des 14. Jahrhunderts «bekannten 
Struktur also, worin die drei Stimmen zerschnitten, gleichsam durchlöchert sind 
und dennoch lückenlos ergänzend ineinandergreifen. Bei beiden Anfängen sind die 
Töne, von denen ausgegangen wird, identisch, einmal jedoch wird die Textur durch 
metrisch-rhythmische Verschiebungen verwischt und verdickt, ein andermal dünnt 
sie sich aus; die beiden Aspekte des Hoketus, das Lückenhafte und das 
Lückenlose, erscheinen so in Musik gesetzt.»(24) Gleicher Beginn, 
aber unterschiedliche Entwicklungen, Dramaturgien, Prozesse: bezeichnend für die 
zunehmende Verrätselung in den Werken Kelterborns der letzten Jahre.
	Das gilt auch für Kelterborns nächstes Meisterwerk «Namenlos. Sechs 
Kompositionen für grosses Ensemble und elektronische Klänge» (entstanden 
1995/96, uraufgeführt 1997), das die eben festgehaltenen Befunde bestätigt 
(Behandlung sogar des Orchesters als «Ensemble-Buch»; Vermittlung von Einheit 
und Vielfalt, von Tutti, allen möglichen Gruppierungen und Soli, von Statik und 
Dynamik, Ausbruch und Stille; Mannigfaltigkeit von Gesten, Klängen und 
Geräuschen; reiche Gliederungen, die durch Strukturierung, etwa konzentrierte 
motivische Arbeit, zusammengebunden werden) und gleichzeitig eine neue Facette 
(nach einem ersten Versuch in Espansioni) in seinem Schaffen aufmacht: den 
Einbezug von Elektronik - getreu seines Credos, «sich [selbst] immer wieder neue 
Fenster [zu] öffnen»(25). Diese war und ist ihm dabei nicht das Steril-
Technische per se, sondern es ging ihm einerseits um das Erkunden einer neuen 
klanglichen Dimension und andererseits um das dialektische Aufspüren des Einen 
im Anderen und umgekehrt, ob in harschen Gegenüberstellungen oder feinen 
Überlagerungen, und manchmal geradezu um die Vertauschung des hergebrachten 
Bildes: «Ich habe sogar das Gefühl, dass [...] die Interventionen des 
Instrumentariums das Aggressive sind und der elektronische Klang eher sinnlich 
und farbig wirkt.»(26) Am spannendsten wird es dort, wo live und akustisch 
produzierte Klänge einerseits und durch Lautsprecher zugespielte elektronisch 
erzeugte andererseits sich so durchmischen, dass sie nicht mehr eindeutig 
auseinander gehalten werden können.
Zum Schaffensprozess
Abb. 2, eine der ersten Skizzen zu Namenlos, zeigt den Formplan des Werks, der 
in vielfacher Hinsicht für den kompositorischen Schaffensprozess Kelterborns 
typisch ist. Dieser bezeichnet nämlich als «eine[n] der spannendsten Aspekte des 
Komponierens [...] das Konzipieren der Form, des übergeordneten Ablaufs eines 
Stücks oder eines Abschnitts. Er ist in unserer Zeit besonders bedeutsam, weil 
uns keine verbindlichen Formmodelle zur Verfügung stehen.»(27) So stehen 
offenbar eine formale Synopse und ihre quantifizierende Unterteilung am Anfang 
von Kelterborns musikalischer Vision eines neuen Werks. Damit steht er insgeheim 
in der scholastisch-deduktiven Tradition des «forma definit materiam», der etwa 
Johann Sebastian Bach noch explizit verpflichtet war. Jedenfalls kommt es nicht 
von ungefähr, dass sich die frühesten Aufzeichnungen Kelterborns oft mit der 
Architektur eines neuen Werks beschäftigen. Allerdings kann er sich «erst an den 
Schreibtisch [setzen], wenn ein Stück weitgehend im Kopf fertig ist. Bis es 
soweit ist, dauert es [...] meistens recht lange.»(28) Seine formal-abstrakten 
Konzeptionen und sich bald entwickelnden konkreten musikalischen Ideen hält er 
weniger in Noten als in verbalen Verlaufsbeschreibungen fest, und so deutet auch 
Abb. 2 als frühe Wortpartitur sehr klar auf seine bereits weit gediehenen 
formalen, zeitlichen, klanglichen, gestischen und dramatischen Vorstellungen 
hin.
	Formal spielen alle drei Symmetrien eine Rolle und generieren ein 
mehrdimensionales Werk. Am auffälligsten ist dabei die Axialsymmetrie, die im 
Grossen vor allem durch die elektronischen Einspielungen erreicht wird. In den 
zwei Teilen von je drei Abschnitten haben die beiden mittleren «Kompositionen» 
keine elektronischen Einspielungen, die Aussenteile Nr. I und VI hingegen je 
eine und die um die imaginäre Mittelachse angeordneten Nr. III und IV je drei 
(die in Abb. 2 eingezeichneten Symbole E1 - E4 für die elektronischen Blöcke 
bedeuten noch nicht die endgültige Nomenklatur). Oder schematisch dargestellt:
«Komposirionen
I
II
III
IV
V
VI
«Elektron. Einspielungen»
E1
E2/E3/E4
E5/E6/E7
E8
Andere Bauprinzipien und Symmetrien können hier des Platzes wegen nicht 
erläutert werden; die daraus resultierende architektonische Ambiguität des Werks 
verhindert indes jede Abrundung und Einfachheit. Dem Eindruck geglätteter Form 
opponiert auch die ausserordentlich reiche Ausprägung der «materia», der 
Details, von denen einige bewusst asymmetrisch gesetzt sind. 
Kein Schluss
Namenlos ist auf jeder Ebene ein vielschichtiges, verrätseltes Werk. Nach einem 
wilden Beginn «de profundis» (wie die Fantasien) und der zunehmenden 
Aufsplitterung der anfänglichen Kompaktheit erzählt es von musikalischen 
Aggregatzuständen, von Gesten, Prozessen, Bewegungen und Wegen, die «in jeder 
der sechs Kompositionen sowie im Gesamtzyklus [...] oft unvorherhörbare 
Richtungen einschlagen und zu unerwarteten Zielen [...] führen können»(29) - ein 
«musikalisches Nachdenken in sechs Ansätzen über individuelle Expressivität, 
deren Verschwinden im Stimmengemenge und in der Klangmasse (inkl. elektronischer 
Ergänzung)»(30). Naturlaut und Schrei, Bedrohung und Idyll wechseln miteinander 
ab, denn «der <Inhalt> meiner Musik wird bestimmt durch die oft schier 
unerträgliche Spannung zwischen den Schönheiten dieser Welt, den unerhörten 
Möglichkeiten des Lebens einerseits und den Ängsten, Schrecken und Nöten unserer 
Zeit andrerseits.»(31)
	Wenn in Nr. VI die von der Technik erzeugten Geräusche in den 
<natürlichen> Klang des Ensembles transformiert werden und nach dem Ende der 
eigentlichen Komposition erstmals die Stimme einsetzt, wird wohl weniger ein 
beruhigender Abgesang evoziert, wie ein Uraufführungskritiker es hörte - das 
wäre dann doch allzu banal und eine Depravation der bislang waltenden 
Komplexität -, als vielmehr eine weitere klangliche Facette angeschlagen und ein 
Neuanfang initiiert, der das Werk über die reale Aufführungsdauer hinaus 
erweitert und für sie eine weitere dialektische Beziehung, die zwischen 
Abgeschlossenheit und Offenheit, gewinnt. Das frühere dualistische, antithetische 
Komponieren wird also mehr und mehr durch ein subtileres dialektisches ersetzt.(32)
	Kelterborn verrät in frühen Notaten zu Namenlos mehr von sich, als seine 
Scheu vor Kommentaren es erwarten liesse. Das kann auch vom Gedicht gesagt 
werden, das wie so oft bei Kelterborn nicht von Anfang an feststand und nun die 
Musik charakterisiert (und nicht umgekehrt diese das Gedicht): Scheinbar im 
Gegensatz zum Text singt der Bariton sein «Vegghio, penso, ardo...»(33) sehr 
leise, «molto tranquillo», und wie die Natur scheint das lyrische Ich nichts 
weniger als wach zu sein. Die dialektische Kompositionsweise Kelterborns indes 
täuscht; die expressive Höhe der Stimme und der letzte verklingende Ton des 
angestrichenen, wahrhaft bebenden Vibraphons (mit kleiner Terz zum vorletzten 
Ton wie am Ende des ersten Grossteils!) wirken viel intensiver, als es eine 
redundante Vertonung vermöchte, und so werden die drei Worte zu den letzten 
sieben Tönen zu einem zwar verschlüsselten, aber umfassenden Selbstporträt des 
Komponisten! In Umkehrung der Rollen möchte ich ihm, Buddhas letzte Worte an 
seine Schüler zitierend, für seinen künftigen Lebens- und Schaffensweg zurufen: 
«Geh[t] weiter!»


(1)	Ich widme diesen Aufsatz, mit meinen besten Wünschen, Rudolf und Erika Kelterborn-Salathé.
(2)	«[Das Problem] wird im Gehen gelöst.»
(3)	R. K.: «Anmerkungen zur Oper Der Kirschgarten», in: ders.: Musik im Brennpunkt. Positionen, 
Analysen, Kommentare, Basel 1988, S. 168–170, hier S. 168f.
(4)	R. K.: «Text und Musik – Libretto», in: ebd., S. 147–160, hier S. 155.
(5)	Zit. nach Wolf-Eberhard von Lewinski: «<Eindeutig und kunstvoll>. Der Komponist Rudolf 
Kelterborn», in: Hans Jörg Jans (Hg.): Komponisten des 20. Jahrhunderts in der Paul Sacher 
Stiftung, Basel 1986, S. 400–406, hier S. 401 (Hervorhebung AH). 
(6)	Dino Larese: Rudolf Kelterborn. Eine Lebensskizze, Amriswil 1970, S. 8f.
(7)	«Tantum inter musicum distat et cantorem, quantum inter [É] corporale artificium et rationem. [É] 
Etenim in tantum distare videntur inter se musicus et cantor quantum magister et discipulus.» (Musica 
Disciplina, Cap. VII: «Quid sit inter musicum et cantorem», hg. v. Lawrence Gushee, Rom 1975, 
S. 77f.)
(8)	Vgl. etwa seine Aufsätze «Musik und Intellekt» (S. 9–20), «Die Bedeutung historischer Musik für den 
zeitgenössischen Komponisten» (21–31) und «Kompositorische Struktur im Dienste des 
musikalischen Ausdrucks» (94–99), alle wieder abgedruckt in: R. K.: Musik im Brennpunkt, a. a. O. 
(Anm. 3), oder sein Buch Analyse und Interpretation (= Musikreflexionen IV, hg. v. der Musik-
Akademie der Stadt Basel), Winterthur 1993.
(9)	Urs Widmer: «Die Verlässlichkeit eines stetig geführten Lebens», in: Humphrey Bogart (= Reihe 
Hanser 209, Reihe Film 8, hg. v. Peter W. Jansen et al.), S. 131–144.
(10)	R. K.: Zum Beispiel Mozart, Textteil, Basel 1981, S. 81.
(11)	Ebd., S. 9.
(12)	Zit. nach d. Verf.: «Docere inveniendo – Invenire docendo oder Der Komponist als Musikdenker 
und Lehrer», in: Rudolf Kelterborn. Komponist, Musikdenker, Vermittler, hg. v. Andres Briner et al. 
(= Dossier Musik 3 Pro Helvetia), Bern 1993, S. 113–126, hier S. 117.
(13)	R. K.: «Statement», in: «Entre Denges et DenezyÉ». Dokumente zur Schweizer Musikgeschichte 
1900–2000, hg. v. Ulrich Mosch, Basel 2000, S. 271f.
(14)	Urs Frauchiger: «Rudolf Kelterborn als Musikvermittler und Programmgestalter», in: Rudolf Kelterborn, 
a. a. O. (Anm. 12), S. 127–137, hier S. 127.
(15)	Ebd., S. 129f.
(16)	R. K. im Programmheft 2 der Tonhalle-Gesellschaft Zürich, 2. Sinfoniekonzert, 12. September 
1991, S. [14].
(17)	R. K.: «Musik und Intellekt», in: ders.: Musik im Brennpunkt, a. a. O. (Anm. 3 und 8), S. 20.
(18)	R. K.: «Kompositorische Struktur im Dienste des musikalischen Ausdrucks», in: ders.: Musik im 
Brennpunkt, a. a. O. (Anm. 3 und 8), S. 94.
(19)	Zit. nach Sigfried Schibli: «<Technik heisst, ein Netz von Bezügen zu schaffen>. Ein Gespräch mit dem 
Komponisten Rudolf Kelterborn», in: Basler Zeitung 154, 26. September 1996, Nr. 225, S. 45.
(20)	Zit. nach Thomas Meyer: «Espressivo mit Einwürfen», in: Tages-Anzeiger , 8. Februar 2001, Nr. 32, 
S. 58.
(21)	Zit. nach Sigfried Schibli, a. a. O (Anm. 19), S. 45.
(22)	Ebd.
(23)	Christoph Keller: «Konstanten eines Schaffens», in: Dissonanz 31/Februar 1992, S. 30f., hier S. 31.
(24)	Patrick Müller: «Musik denken. Rudolf Kelterborn im Musikforum Zug», in: NZZ 218, 3. März 1997, 
Nr. 51, S. 23.
(25)	Zit. nach Sigfried Schibli, a. a. O. (Anm. 19), S. 45.
(26)	Ebd.
(27)	R. K.: «Musikalische Form als dramatischer Prozess», in: ders.: Musik im Brennpunkt, a. a. O. 
(Anm. 3), S. 100–110, hier S. 100.
(28)	R. K. im Gespräch mit Arthur Godel: «Zur Sinfonie IV (in einem Satz)», in: ders.: Musik im 
Brennpunkt, a. a. O. (Anm. 3), S. 142–146, hier S. 143.
(29)	R. K.: «Kommentar des Komponisten», in: Programmheft zur Uraufführung von Namenlos, Basler 
Musik Forum (6. Konzert 1996/97), 27. Mai 1997, S. [12].
(30)	Thomas Meyer: «Dem Eindeutigen entzogen. Basel: Namenlos von R. Kelterborn (UA)», in: 
Dissonanz 53/August 1997, S. 27f., hier S. 27.
(31)	R. K. 1993, hier zit. nach d. Verf.: «Rudolf Kelterborn», in: Komponisten der Gegenwart, 
10. Nachlieferung, München 1996, o. S.
(32)	Zu den Vier Fantasiestücken für Violine und Marimbaphon (1992/93) schreibt Kelterborn Ähnliches: 
«Die formale Offenheit (<Fantasie>) kommt am deutlichsten im letzten Stück zum Ausdruck: Der 
Schluss könnte ein Neuanfang in einem völlig veränderten <Klima> sein» (in: «Notizen zu den 
Werken» im Booklet zur Kelterborn-CD pan classics 510 112, Arth 1998, S. 5).
(33)	Der Text in «Komposition VI» ist Francesco Petrarcas Canzoniere 164 entnommen. Die 
letzten Worte bedeuten (in der Übersetzung des Komponisten): Wache ich und denke, glühe ich...

Homepage Rudolf Kelterborn: http://www.musicedition.ch/composers/27d.htm