Aktuelle Ausgabe
 









#105, März 09

IST «WIDERSTAND» HEUTE EINE MUSIKALISCHE KATEGORIE?
Einige Standpunkte
VON MICHAEL KUNKEL

Entgrenzung war gestern. Die vielzitierte Erschöpfung der Negativitätsdynamik als produktiver Impuls zu «avanciertem» musikalischen Schaffen hat eines nicht bewirkt: dass musikalische Produktivität aussetzt. Vielleicht wurde nie so viel «Neue Musik» gemacht wie heute. Ist all diese Musik wirklich nur ironische Montage, pluralistische Naivität, politischer Eskapismus oder wohlfeile Simulation modernistischen Gebarens? Oder gibt es selbst heute noch Möglichkeiten, eine scheinbar überlebte musikalische Tugend wie «Widerstand» auf neue Weise produktiv zu machen? Anders gefragt: Wogegen können Macherinnen und Macher von Musik heute sein? Sehr verschiedene Antworten geben Isabel Klaus, Carl Ludwig Hübsch, Jakob Ullmann, Hans Thomalla, Felix Profos und Dror Feiler.

 

FAULT & DEFAULT
Über den Widerstand nicht-musikalischer Objekte
VON BJÖRN GOTTSTEIN

So unterschiedlich die Gründe, die dazu führen, dass sich ein Künstler vom herkömmlichen Instrumentarium abwendet, auch sein mögen, stets sieht er sich einem Widerstand ausgesetzt, der sich der musikalischen Sinnstiftung entgegen stellt. Ein Apparat, der keinen Ton von sich geben will, der nicht zum Musikmachen einlädt, muss bezwungen werden. Björn Gottstein skizziert einige Arten, stoffliche Widerstände zu nutzen.

REIBUNGSVERLUSTE IN DER ZEITGENÖSSISCHEN MUSIK
Widerstand wozu?
VON THOMAS SCHÄFER

Die zeitgenössische Musik scheint in einem Dilemma zu stecken: Der Reibungsverlust wird mit einem Freiheitsgewinn erkauft, der selbst zur Bedrohung wird. Ein Paradoxon, denn eigentlich dürfte der Wegfall jeglicher Reglementierungen als positiv wahrgenommen werden. Das Gegenteil ist der Fall: Zu beobachten ist eine junge Generation, die sich sehr gut im föderalen Förderungssystem eingerichtet hat und sich wenig an der allgemein diagnostizierten Kriterien- und Orientierungslosigkeit zu stören scheint. Man will einfach «gute Musik» schreiben. Aber wie?

WIDERSTAND: KRITIK
Thesen und Forderungen
VON PATRICK N. FRANK

Die Avantgarde, so sagen wir, sei längst überwunden. Fasst man sie als ein Konglomerat aus ästhetischen und theoretischen Bestimmungen auf, treten nach Ansicht des in Zürich lebenden und wirkenden Komponisten Patrick N. Frank (geb. 1975) Zweifel hervor. Die innere Ursache des Schattendaseins zeitgenössischer, musikalischer Kritik gründe im Fehlen der theoretischen Bewältigung der Avantgarde. Äussere, das heisst gesellschaftliche Entwicklungen verstärken zusätzlich die Impotenz zeitgenössisch-musikalischer Kritik. Sie müsse, so Franks Forderung, eine neue Form annehmen, um wirksam zu sein.

IST WIDERSTAND ZWECKLOS? / EST-IL INUTILE DE RÉSISTER?
11 Statements

«Widerstand» im politischen und ästhetischen Sinn gilt als wichtiger Impuls zur Entwicklung der Neuen Musik, «Negativität» als entscheidender Faktor zur Ausbildung der Klangästhetiken der Moderne. Heute scheint nicht mehr vollkommen klar, wogegen sich künstlerische Widerstände produktiv zu richten haben. Dies betrifft das Verhältnis von jetzt schaffenden Künstlern zur historischen Neuen Musik wie die Ausrichtung des eigenen künstlerischen Handelns in einer Gegenwart, in der die Klage über Kriterien- und Orientierungslosigkeit längst zum Allgemeinplatz geworden ist. Was ist dran an der Vorstellung, dass «Widerstand» der massgebliche Impulsgeber für die musikalische Moderne gewesen sei? Welche Relevanz hat «Widerstand» im Musikleben, im Musikschaffen von heute? Wir haben einige Künstlerinnen und Künstler um Statements zu dieser Thematik gebeten. Tant au sens politique qu’esthétique, la « résistance » a donné une impulsion décisive au développement de la musique contemporaine, de même que la « négativité » est apparue comme un facteur de première importance pour la formation de l’esthétique sonore moderne. Il n’est pas facile de savoir contre quoi la résistance artistique doit aujourd’hui se dresser pour rester productive. Un problème qui concerne aussi bien l’attitude des compositeurs actuels face à la musique nouvelle du siècle passé que l’inscription de son propre travail créatif dans un présent où l’absence de toute esthétique est devenue un lieu commun. Qu’en est-il de l’idée selon laquelle la « résistance » a fourni l’impulsion centrale de la musique contemporaine ? Quelle place occupe la « résistance » dans la vie et la création musicales d’aujourd’hui ? Quelques artistes nous donnent leur avis.

SENSIBLE BASTARDE
Die Kunst des Felix Profos
VON TORSTEN MÖLLER

Der 1969 in Winterthur geborene Komponist Felix Profos steht quer zu den Usancen und Befindlichkeiten des Neue Musik-Betriebs: Er entzieht sich den dort zelebrierten Verhaltensweisen, indem er mit Vorliebe für Banalitäten und Autismen gegen den Sittenkodex jener sich stets kritisch und aufgeklärt gebenden Protagonisten mitteleuropäischer zeitgenössischer Kunstmusik verstösst.

INITIATIVES ET PERSPECTIVES
La recherche dans les Hautes Écoles de Musique de Suisse romande
PAR ALAIN CORBELLARI

Déjà bien implantée dans les Conservatoires de Suisse allemande, la recherche commence également à s’épanouir en terre romande et semble promise à une belle croissance. État des lieux et tour d’horizon à l’aube de cette nouvelle ère.

«ACH, WÄR’ ICH BEI DEN ZWERGEN DOCH»
Lob-ABC für Heinz Holliger
VON MICHAEL KUNKEL

Die Musik von Heinz Holliger (geb. 1939) hat viele Facetten; einige werden in dieser am 24. August 2008 in Wiesbaden gehaltenen Laudatio zur Verleihung des Rheingau Musikpreises berührt. Seine auffällige Vorliebe für Zwergenreiche gehört zu den grössten Faszinosa der geistigen Physiognomie eines Künstlers, der so gerne als Musikriese gepriesen wird. «Ach, wär´ ich bei den Zwergen doch», wünscht Schneewittchen in Robert Walsers gleichnamigem Dramolett, über das Holliger seine grösste Oper komponierte. Die Sehnsucht nach Zwergen findet Ausdruck in einer Ästhetik, deren Fluchtpunkt oftmals im Allerkleinsten oder im Nichts zu liegen scheint.

« TOUT EST QUESTION D’ÉCOUTE ET DE CONTEXTE »
Pierre Mariétan, un compositeur à l’écoute du monde sonore
PAR PIERRE HUGLI

Pierre Mariétan se trouve aujourd’hui au centre de l’Association Rencontres Architecture-Musique-Ecologie (RAME, cf. Dissonance 101). Le compositeur valaisan réside à Paris depuis plus de 40 ans. Formé par Zimmermann, Boulez et Stockhausen, il est l’auteur d’une œuvre forte jouée sur plusieurs continents et ne cesse d’être attentif aux relations entre bruit et musique, musique et espace — attentif à l’environnement sonore indissociable de la musique qui y est produite. (Photo Pierre Mariétan : Clarisse Clozier)

Berichte / Comptes rendus

–          «Gunten» und «Rote Asche» in der Basler Gare du Nord
–           Masterkolleg Komposition/Theorie in Boswil (5.-7. Januar 2009)
–           Uraufführung der «Scardanelli-Lieder» von Ulrich Gasser (Gare du Nord, Basel)
–           Die Tage für Neue Musik Zürich (6.-15. November 2008)
–           Le Louvre invite Pierre Boulez
–           Messiaen : l’hommage parisien

Diskussion

Nachruf George Brecht

Nachrichten / Nouvelles

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